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09.11.2011

9. November 2011

9. November

"Schicksalstag der Deutschen"
1918: Novemberrevolution in Berlin
1923: Hitler-Ludendorff-Putsch in Berlin
1938: Beginn der Novemberpgrome
1989: Mauerfall

Zum Mauergedenktag die Reportage Hier starb als erstes Opfer der Mauer: Günter Litfin“ 
Interview wurde am 27.1.2011 geführt
„ Hier starb als erstes Opfer der Mauer: Günter Litfin“

Das Alexander-Ufer in Berlin ist die Verbindung zwischen dem Kapelle-Ufer und der Invalidenstraße im Bezirk Mitte. Wo heut zu Tage verliebte Pärchen und Jogger mit Hund in der Mittagssonne spazieren, befand sich zu DDR-Zeiten der Grenzstreifen. Heute ist davon nichts mehr übrig geblieben. Über die Spree, die einst Ost- und Westberlin trennte, ragt nun in symbolischer Kraft eine Brücke zur anderen Seite des Ufers hinüber. Von hier aus erstrahlt Berlin in seiner ganzen Pracht. Umrisse der Wahrzeichen zeichnen sich am wolkenbedeckten Horizont ab, zur linken Seite ruhen die Lehrgebäude der altehrwürdigen Charité, die an englische Backsteinhäuschen erinnern. Das Regierungsviertel lässt sich hinter weiteren Brücken und Einbuchtungen der Spree erahnen.
Aus dem Grauschleier ,der sich hin und wieder über Berlin legt, erstrahlt ein giftgrüner Fleck, dort, direkt an der Brüstung, tritt man ein Stück näher heran erkennt man, dass es sich um einen kleinen Mann in wetterfester Kleidung handelt. Seelenruhig und verträumt lässt er seinen Blick über die Spree gleiten.
Jürgen B., 60 Jahre alt, kommt aus Kiel. Seit ein paar Monaten ist er Rentner, 40 Jahre hat er als Busfahrer gearbeitet. Für ihn stand damals schon fest, wohin es für ihn gehen würde, nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat: Nach Berlin.
Trotz der geringen Entfernung hat er die Hauptstadt noch nie gesehen. „ So, wie viele andere Städte und Regionen dieser Welt.“ Als Busfahrer habe er: „ Jeden Tag gearbeitet, auch am Wochenende. Immer die Gäste von A nach B gefahren.“ Nur sich selbst habe er nie aus Kiel herausgebracht. „ Dafür hatten wir kein Geld.“ , sagt er, während sich sein graues Haar leicht im Wind bewegt. Seine kleinen Augen, die sich hinter der Brille verstecken, senken sich zu Boden. „ Doch, Kiel ist auch einfach wunderschön! Zu schön,um es zu verlassen! Und die Schlei erst!“ Wohl auch ein Grund dafür, warum er gerade hier an der Spree inne gehalten hat. „ Wie die Geschichte diesen Ort umgibt.“, sagt er plötzlich. Die Geschichte, die er nur in den Medien mitbekommen hat. „ Jetzt will ich es alles sehen! Kohl hat viel geleistet, ohne ihn wäre Berlin nicht Berlin!“
Jürgen B. Hat sich vorgenommen noch ganz viel zu sehen im Leben. Seine Augen beginnen zu Funkeln, als er diesen Satz beendet. „ Berlin ist erst der Anfang!“, er holt aus, „ Ich möchte alles aufholen,einfangen,all das, was ich verpasst habe.“ Bis jetzt ist er schon in der Stadtmitte, vor dem Brandenburger Tor und vor dem Reichstagsgebäude gewesen. Zählt er an seinen, in dicke Handschuhe verpackten, Fingern ab. Letzteres habe er „ In Schutt und Asche vor sich gesehen.“ Hektisch rudert er mit den Armen, als würde er versuchen eine Explosion nachzustellen. Abrupt beendet er das ausführliche Nachstellen und wird still. Er nickt zu einer Art Säule, die auf eine Art mahnend aus dem Asphalt ragt. Sie ist mit der Inschrift: „ Hier starb als erstes Opfer der Mauer Günter Litfin 19.2.37-24.6.61/ Ihm und allen Opfern der Mauer zum Gedenken“, versehen. „ Diese habe ich auch schon angeschaut.“ Er schüttelt fassungslos den Kopf. So etwas könne er sich nun wirklich nicht vorstellen. „Eine geteilte Stadt, ein geteiltes Kiel!“, am Satzende wird er unerwartet laut, fast wäre es einem Angstschrei gleich gekommen. „ Als Bürger des Westens war einem die Teilung des Landes ja im Prinzip egal.“ Er holt ein paar mal Luft bevor er erneut in einer Erklärung ausartet, dabei wirkt er sehr betroffen. Würde dieser Moment nicht gerade im richtigen Leben stattfinden, sondern eine Filmszene darstellen, ließe sie sich gut als „ herzzereißend“ beschreiben. Jürgen B. Atmet tief ein: „Es ist dann, wie, wenn dir das Wichtigste und Liebste nicht genommen wird, sondern dir befohlen wird darauf zu verzichten.“...Drohend erhebt er den Finger: „ Würde man mir den Weg zu meinem Kiel, meinem Ort der Freiheit und Geborgenheit nehmen...!“, seine Stimme bricht ab. „ Das einzige, was ich mit den Berlinern gemeinsam habe, ist wahrscheinlich, dass wir unsere Heimat lieben, wie nichts anderes auf der Welt.“ Der verträumte Blick den er anfangs auf die Spree gerichtet hatte, kehrte zurück. Seine Gedanken schienen zu kreisen. Abwesend murmelt er: „ Einige waren sogar nur so alt, wie meine Tochter jetzt.“
Schließlich schüttelt er den Kopf und betont immer wieder, dass er es nicht verstehen kann.
„Wie weit würdest du gehen?“, diese Frage schien ihn zu beschäftigen. Weiterhin abwesend nuschelt er: „ Sehr weit. In meiner Zeit als Busfahrer habe ich auch ein paar mal gestreikt, was man nicht vergleichen kann. Wenn ich mir das wirklich vorstelle, wäre ich auch einfach ins Wasser gesprungen und los geschwommen. Auch hätte ich dort meinen Tod gefunden, bin ich der Ansicht, dass es schön ist in so einer schrecklichen Welt, so zu sterben. In dem Element, in dem man geboren wurde auch wieder der Welt zu entgleiten...In seinem Willen ungebrochen, in der Ruhe, die einen im Wasser umgibt.“

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